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IM DIALOG

 Interview mit Rainer Reichl, Geschäftsführer der Werbeagentur Reichl und Partner
Rainer Reichl spricht im Interview über den Stellenwert von Dialogmarketing und der Notwendigkeit einer ausgewogenen Kombination aus klassischer Massenwerbung und persönlicher Kund:innenansprache.

Was bedeutet Dialogmarketing und was sind Ihre Erfahrungen damit?

Dialogmarketing hat mich mein ganzes Leben begleitet. Ich habe im Jahr 1988 eine Firma unter dem Namen Databased-Marketing-Services gegründet. Meine Vision war, datengetriebene Kommunikation zu betreiben. Ich wollte mit den Kund:innen nicht nur in eine Einwegkommunikation treten, sondern einen Dialog aufbauen und auf Interaktion setzen. Dieser Gedanke hat Dietmar Eybl, dem damaligen Geschäftsführer von Intersport Eybl, der mittlerweile leider verstorben ist, sehr gefallen – wir haben schließlich begonnen, gemeinsam eine Datenbank aufzubauen. Damit konnte man unter anderem feststellen, dass ein Läufer im Winter Interesse an Langlauf hat, wofür er in weiterer Folge die entsprechende Kleidung benötigt. Dieser Kunde interessiert sich möglicherweise auch für Nordic Walking – so haben wir verschiedene Sportarten durchgearbeitet. Fazit: Man kann Geschäfte mit bestehenden Kund:innen sehr gut ausbauen und es fallen dabei viel weniger Kosten an, als wenn man neue anspricht. Wir haben unsere Strategie in weiterer Folge zweigeteilt: Die Neukund:innen-Akquisition erfolgte über Medien wie Radio und TV und gleichzeitig haben wir enormes Geld in ein CRM-System investiert. Nach 25 Jahren haben wir schließlich eine Datenbank mit 1,8 Millionen Adressen aufgebaut. Das war sensationell, weil es damals nur wenige Unternehmen gab, die einen Dialog mit ihren Kund:innen gesucht haben. Intersport Eybl hat das bereits in frühen Jahren beabsichtigt.

Was hat sich im Laufe der Zeit verändert?

Heutzutage kommen natürlich durch die Fortschritte in der digitalen und analogen Kommunikation Dinge zustande, die wir uns damals nur hätten erträumen können. Allerdings ist es das gleiche Prinzip: Man generiert Adressen (über die Website, ein Geschäft oder Event), schafft Frequenz auf diesem Ort und gewinnt Leads – wir sprechen in dem Fall von Marketing Qualified Leads, also Menschen, die mit der Marke eine bestimmte Beziehung haben. Danach gehen wir einen Schritt weiter und sorgen dafür, dass wir sie zu Sales Qualified Leads machen. Dabei spielen die verschiedenen Touchpoints eine Rolle –unser Ziel ist es, Kund:innen zu generieren und sie in weiterer Folge zu durchschnittlichen, dann überdurchschnittlichen und schließlich VIP-Kund:innen weiterzuentwickeln. Warum das wichtig ist? Im Kosmetikbereich macht zum Beispiel ein namhaftes Unternehmen mit 5% seiner Kund:innen 80% des Umsatzes.

Was gilt es beim Einsatz von Dialogmarketing zu beachten?

Dialogmarketing bedeutet nicht nur Interaktion, sondern datengetriebene Interaktion. Man muss sich intensiv mit seiner Zielgruppe auseinandersetzen – bedeutet, dass man in den Kunden bzw. die Kundin hineinhört, seine Bedürfnisse entdeckt und darauf reagiert, ihn bzw. sie aber auch direkt zu Wort kommen lässt. Der Bereich Social Media bietet in diesem Zusammenhang sensationelle Möglichkeiten. Man hat ihn bzw. sie aber nicht nur durch Bedürfnisse und soziale Merkmale am Radar, sondern auch durch das in Zahlen abgebildete Konsumverhalten. Die Daten und Fakten im Hintergrund machen alles wesentlich rationaler. Dadurch lässt es sich gut steuern - im Gegensatz zu klassischer Werbung, wo man häufig einen Blindflug macht, der aber meistens gut geht. Dialogmarketing ist ein computergestützter Landeanflug, bei dem der Pilot oder die Pilotin theoretisch nebenbei eine Zigarette rauchen kann und der Flieger trotzdem landen würde. Zweifellos brauchen wir beides für einen maximalen Kommunikationserfolg.

Welchen Stellenwert hat Dialogmarketing in Österreich?

Der Stellenwert ist nach wie vor zu gering in Österreich. International zeigen uns aber besonders Startups, dass man mit datengetriebenem Dialogmarketing viel machen kann. In dieser Hinsicht gibt es bei uns noch großen Aufholbedarf – vielleicht wird es auf Universitäten und Fachhochschulen noch zu wenig kommuniziert. Natürlich ist es einfacher, Millionen Euro in klassische Werbung oder Social Media zu investieren, aber viele wissen nicht, was sie eigentlich tun. Im Gegensatz dazu profitieren Unternehmen, die es ernst nehmen, enorm: Eine gute Datenbank, ein gutes CRM-System, eine gute Kund:innenkenntnis und zusätzlich noch ein gutes Akquisitionsprogramm sowohl im B2C- als auch im B2B-Sektor – damit kann das Unternehmen enorm performen.

Ich unterstelle österreichischen Firmen in dieser Hinsicht einerseits, dass sie viel zu bequem sind, um darüber nachzudenken. Andererseits gibt es auch viele Niederlassungen internationaler Konzerne, die das selbstständige Denken nicht mehr erlauben, sondern versuchen, zu zentralisieren. Man sucht eher nützliche Idioten als kreative Mitarbeiter:innen, die mitdenken – das könnte man als Headline des Artikels verwenden.

Wie kann man dieser Tendenz entgegensteuern aus Ihrer Sicht?

Momentan tut sich eine vielversprechende Startup-Szene mit unternehmerischem Denken auf – diese jungen Menschen empfangen wir mit offenen Armen. Wir unterstützen sie sowohl finanziell mit Beteiligungen als auch mit Konzepten, weil dabei tolle Ideen entstehen. Sie greifen, ohne darüber nachzudenken, auf das gesamte Potential der Marketing-Kommunikation zurück: Analoge, digitale, soziale Kommunikation und Life-Experience-Communication. Das sind die vier Kanäle, über die wir kommunizieren können. Sie hinterfragen nichts, sondern handeln einfach. Wenn ich Vorträge in Hochschulen halte, frage ich gerne nach den Zukunftsplänen der Student:innen und zirka ein Drittel möchte selbstständig werden oder die Möglichkeit haben, sich in einem Unternehmen weiterzuentwickeln – das ist übrigens ein menschliches Grundbedürfnis.

Welche Rolle spielt Dialogmarketing in diesem Zusammenhang?

Dialogmarketing ist nicht nur für den Absatzmarkt interessant, sondern auch für den Bereich der Mitarbeitermärkte bzw. des Arbeitsmarktes. Beispielsweise nehmen wir jedes Jahr viele Praktikant:innen in unserer Agentur auf, nicht um sie mit Arbeit zu überfordern, sondern um sie bestmöglich zu unterstützen und ein Gefühl zu bekommen, welche für uns spannend sind. Besonders mit Absolvent:innen der FH St. Pölten haben wir gute Erfahrungen gemacht – eine Kollegin ist zum Beispiel seit 6 Jahren dabei. Wie schafft man das? Man kann auch im Personalmarketing sehr interaktiv tätig sein und die Mitarbeiter:innen besser kennenlernen. Besonders wichtig ist zu bedenken, dass Dialogmarketing eine faire Kommunikation auf Augenhöhe ist. Altmodisch ist die Einwegkommunikation, welcher man beispielsweise nach wie vor in einer Service-Hotline von Fluglinien begegnet. Die neue Welt der Kommunikation kann man beispielsweise auf Outfittery erkennen. Es handelt sich dabei um eine Plattform, die Männer mit Stil ausstattet und nebenbei noch Kleidung verkauft. Es findet eine Interaktion statt und man erhält Produkte auf Basis von Empfehlungen nach dem Kennenlernen – das sind moderne Dialogmarketing-Instrumente.

Inwiefern hat Covid-19 das Dialogmarketing beeinflusst?

Covid hat in diesem Zusammenhang viele gute Aspekte gebracht: Zum einen verstehen wir, dass die Grenzen des Wachstums in unserem Konsum erreicht sind. Wir besitzen viel zu viel – zwischen 10.000 und 15.000 Produkte besitzt der Mensch im Durchschnitt. Man könnte allerdings auch mit weniger glücklich sein. Außerdem geht der Trend in Richtung Regionalität und Unternehmen sind nicht mehr so austauschbar wie früher, da die persönliche Dimension an Bedeutung gewonnen hat. Ein weiterer positiver Aspekt ist die Möglichkeit der digitalen Kommunikation über Anbieter wie Zoom – natürlich gibt es dabei Grenzen, da der soziale Kontakt oft trotzdem fehlt. Die Kommunikationstechnik funktioniert aber heutzutage immer besser und man wird sich in Zukunft einige Dienstreisen ersparen. Zudem haben Kund:innen die Angst vor e-Commerce verloren. Sie verstehen mittlerweile, dass sie bei einem gut geführten Webshop eine zufriedenstellende Beratung bekommen. Wir werden daher zukünftig Veränderungen im Handel erleben: Manche Produkte wird man weiter vor Ort kaufen, aber viele nur noch online. Das öffnet der dialoggetriebenen Kommunikation natürlich viele Türen. Auch Marketing Automation wird noch ein wichtiges Thema werden, sobald Machine Learning und Künstliche Intelligenz problemlos funktionieren. Überall, wo man 1+1 zusammenzählt, werden diese Technologien viel besser arbeiten als der Mensch – im kreativen Bereich glaube ich allerdings nicht.

Gibt es auch negative Aspekte in Zusammenhang mit Covid-19?

Es ist immer die Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Wir haben derzeit eine enorme globale Geldentwertung, der nächste wirtschaftliche Kollaps ist also vorprogrammiert. Auch technologische Disruptionen sind möglich, da es immer davon abhängt, ob man etwas missbräuchlich einsetzt. Die positiven Aspekte haben alle zum gleichen Teil Gefahren und Chancen in sich – als Marketer versucht man selbstverständlich, die Chancen zu nützen. Früher sind Produkte miteinander im Wettbewerb gestanden, heute sind es Marken. Der nächste Schritt ist, dass Geschäftsmodelle Marken ablösen: Zum Beispiel löst Airbnb die Hotelkette Hilton ab. Hilton hat 40 Jahre gebraucht und Airbnb hat dasselbe in 3 Jahren geschafft. Auch Uber hat bereits die Yellow Cabs in New York abgelöst – heutzutage ist dort nichts Gelbes mehr zu sehen, früher haben die Taxis das Stadtbild bestimmt. Was bedeutet das? Die heutige Generation hat ein anderes Wertesystem, beispielsweise kommt Nachhaltigkeit viel mehr zu tragen und es entsteht eine neue Art des Tuns. Meiner Meinung nach haben Unternehmen heute allerdings viel mehr Chancen, wenn sie diese wahrnehmen.

Laut Dialogmarketing Report 2020 wollen zirka 20% der Werbeentscheider ihre Ausgaben in klassische Werbekanäle verstärken – unterstützen Sie diese Tendenz?

Es funktioniert das eine nicht ohne dem anderen. Dialogmarketing gelingt erst ab dem Zeitpunkt, an dem man Adressen generiert, Zielgruppen definieren kann und einen Zugang zu den Kund:innen hat. Nehmen wir Trivago als Beispiel: Die Hauptfrequenz bekommt man über reichweitenstarke Medien wie TV und Radio. In dieser Hinsicht hinken die Online-Medien nach, besonders auf eine Region wie Österreich bezogen – global sieht das anders aus: Es gibt bereits Systeme, mit denen man Millionen von Menschen digital erreichen kann. Die Frage ist nur, wie stark man sie auf diese Art und Weise tatsächlich beeinflussen kann. Man braucht zuerst den Traffic im Shop bzw. auf der Website, damit man Daten generieren und weiterverarbeiten kann. Dann kann man sehr wohl effektiv mit Dialogmarketing arbeiten. Ich glaube, wir brauchen eine ausgewogene Kombination aus analoger, digitaler, sozialer und persönlicher Kommunikation. Die Betonung liegt dabei auf ausgewogen: Ein Blumenstrauß mit verschiedenen Farben und Blüten – so muss Kommunikation aussehen. Es ist nicht nur ein einzelnes Blümchen, das wäre langweilig!

Welchen Themen werden zukünftig relevant und gibt es sonstige Aspekte, die Sie abschließend gerne ansprechen möchten?

Die Industrie wird direkt an die Kund:innen herantreten, sprich Zwischenhändler werden ausgeschaltet. Produkte werden dadurch zum Teil günstiger, aber auch internationaler. Es eröffnen sich enorme Chancen, die man als junger Mensch nutzen sollte. Man sollte sich nicht von einem Konzern schnappen lassen, sondern in einer kleinen Struktur Dinge vorantreiben. Ein persönlicher Tipp an alle Studierenden: Werden Sie keine nützlichen Idioten! Wenn wir nicht mehr selbst denken und nur noch funktionieren, geht die Kreativität und Innovationskraft eines Landes irgendwann verloren. Aber eigentlich mache ich mir keine Sorgen, da die jungen Menschen heutzutage sprießen, also es tut sich etwas!

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