Trend und Gegentrend

Social Commerce und Digital Detox

IM DIALOG

Interview mit Thomas Petroczi
Soziale Netzwerke entwickeln sich laufend weiter. Zu Beginn nutzten Unternehmen sie vor allem für den Kontaktaufbau sowie der Kund:innenpflege. Heute dienen sie schon als Verkaufsfläche. Gleichzeitig dazu entwickelte sich das bewusste Abschalten der digitalen Welt, der sogenannte Digital Detox. Thomas Petroczi ist Experte der Digital-Branche und Head of Social Media bei dreifive. In einem Interview spricht er mit uns über die Trends und wie diese durch Corona beeinflusst wurden.

Herr Petroczi, kommen wir gleich zu unserer ersten Frage: Was ist Social Commerce?

Social Commerce ist für mich die Nutzung von Sozialen Medien als Vertriebsfläche sowie der direkte Verkauf und Vertrieb über soziale Netzwerke.

Und was sind die Vorteile von Social Commerce gegenüber Webshops?

Der größte Vorteil ist sicher, dass der User keinen Medienbruch hat. D.h., er muss nicht von Plattform A zu B wechseln. Es ist hinsichtlich User Experience, sage ich mal, wesentlich einfacher für den End-User. Das ist wahrscheinlich der größte Vorteil.

Social Commerce wird jetzt schon von einigen Branchenspezialisten und Spezialistinnen als Trend bezeichnet. Würden Sie zustimmen?

Der Trend geht schon in die Richtung. Also ich merke, dass Kunden verstärkt nach der Thematik fragen. Aber auch da glaube ich, dass es mehr ein Buzzword ist. Es ist am Anfang immer schwierig zu beurteilen, ob sich ein Trend durchsetzen wird oder nicht. Aber die Nachfrage steigt auf jeden Fall.

Das bedeutet dreifive bietet Social Commerce an und Kund:innen nehmen die Funktion auch wirklich oft wahr?

Ja, das läuft bei dreifive meistens parallel. Im Normalfall ist es kein Zusatzangebot, sondern im „360-Grad-Sorglospaket“ inkludiert.

Und würden Sie auch sagen, dass es irgendwelche Nachteile oder Gefahren gibt, wenn man Social Commerce betreibt?

Ja. Ich finde es aus User-Sicht schon schwierig. Deshalb habe ich auch gemeint, man muss ein bisschen aufpassen, wenn man von einem Trend spricht. Für mich als User ist es irritierend, wenn ich direkt auf Instagram irgendetwas kaufe. Ich weiß nicht, wo das Produkt wirklich herkommt, wer der Anbieter ist und das verursacht bei mir etwas Bauchweh. Ich bin z.B. in meinem Surfverhalten noch immer ein Fan davon, auf die Website zu gehen und beim Händler direkt zu kaufen, ohne zwischengeschaltete Plattformen, auf denen ich als User wahrscheinlich die Sorge habe, dass Instagram und Co. am Umsatz mitschneiden. Durch die aktuelle Situation ist es so, dass User verstärkt wissen wollen, wo die Dinge herkommen und ich finde, das wird durch Social Commerce ein bisschen verwischt.

In einem früheren Interview hatten Sie gemeint, dass es aufgrund von Corona in Richtung Nachvollziehbarkeit und Bewusstsein geht. Ihrer Meinung nach ist das also durch Social Commerce weniger gegeben?

Ich finde schon. Es ist ein bisschen eine Definitionssache. Social Commerce ermöglicht es, auf Instagram oder Facebook Produkte zu taggen, die einen dann direkt zum Händler führen. Aber man hat mittlerweile auch die Möglichkeit, Instagram-Shops zu implementieren und den Check-out über Instagram abzuschließen. Und das finde ich ein bisschen schwierig und geht eben in die entgegengesetzte Richtung von dem Bewusstseins-Trend. Ich glaube, es verwirrt die User einfach. Warum soll ich plötzlich auf Instagram einkaufen? Eigentlich soll sich der User auf den Content fokussieren und plötzlich steht der Verkauf im Fokus. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Strategie wirklich immer die richtige ist.

Und ist das auch Zielgruppen-abhängig?

Ich kann ehrlicherweise nicht behaupten, das genau zu wissen, da ich dazu keine Zahlen habe. Aber nach meinem Bauchgefühl nehmen es jüngere Zielgruppen schon mehr wahr als ältere. Was lustigerweise auch etwas dem Trend entgegengesetzt ist. Ich glaube junge Leute überlegen sich normalerweise mehr, wo die Dinge herkommen, sind aber auf der anderen Seite mit Online Shopping aufgewachsen. Deswegen macht es keinen Unterschied, ob sie jetzt auf Instagram oder auf der Händlerseite schnell etwas kaufen. Das ist dann wiederum unwichtiger als bei Online-aversen Personen. Ich glaube „ältere“ Zielgruppen schreckt das ziemlich ab.

Wie funktioniert das System hinter Social Commerce eigentlich genau? Verdienen Instagram, Facebook und Co. etwas damit? Oder warum würden sie den Vertrieb für ein Unternehmen übernehmen?

Derzeit verdienen sie nicht direkt mit, aber indirekt. Die Vision von Facebook und Instagram, ist: Sie wollen für den User eigentlich maximal relevant sein. Und das jetzt auch im Bereich Shopping. Sie meinen, es ist für den User einfacher, als bei einem Händler einzukaufen. Es fallen dafür keine Provisionen an, aber es ist so, dass in den Shops früher oder später Werbung geschalten werden kann bzw. ist es zum Teil auch jetzt schon so. D.h., Sie erhoffen sich dadurch mehr Nutzer:innen, höhere Nutzungszahlen und dadurch können sie natürlich auch mehr Werbeinventar verkaufen. Es ist dann nach wie vor Werbung die Erlösquelle und auch der Grund, warum der Service mitangeboten wird.

Und merkt man es auch schon in der Performance von den Unternehmensseiten?

Wenn es darum geht, einen Shop zu 100 % auf Instagram zu implementieren, habe ich keine Erfahrungswerte. Product Tagging funktioniert schon ganz gut, muss man sagen und es gibt die Funktion jetzt schon seit einiger Zeit. Die User haben sich daran gewöhnt, aber auch hier wird man in den Webshop geleitet. Deswegen weiß ich nicht, ob der inkrementelle Uplift wirklich so hoch ist. Das lässt sich immer schwer messen. Was hätte ich ohne das verkauft, was verkaufe ich mit dem? Das ist eine Sache der Messbarkeit, aber vom Gefühl her ist die Akzeptanz, was das Product Tagging anbelangt, mittlerweile schon recht hoch.

Ist der Trend auch eine gute Option für eine Dialogmarketingstrategie?

Dialogmarketing… Ich glaube man muss den Begriff Dialogmarketing auch in Zukunft ein bisschen anders definieren als bisher. Es geht auch da in Richtung Automatisierung, Chatbots usw. Es werden dann keine echten Menschen mehr den Dialog führen, sondern Maschinen, die man z.B. fragen kann: Warum ist mein Paket noch nicht da? Die Schuhe sind zu groß oder Ähnliches. Also, es ist in der Hinsicht sicher relevant im Dialogmarketing 2.0.

Gibt es schon erfolgreiche Beispiele in der Anwendung von Social Commerce?

Wie gesagt, die Bewertung ist sehr schwierig. Es wird bereits angenommen, aber dass man jetzt sagt, man hat z.B. die Performance um x % gesteigert, geht nicht. Wir haben zwar Zahlen, die sind meiner Meinung nach aber weder valide noch aussagekräftig. Tendenz ja, es funktioniert schon. Ich glaube auch, dass es sich früher oder später durchsetzen wird. Wenn man sich zum Beispiel den asiatischen Raum anschaut, sieht man, dass dort mit We-Chat schon wesentlich früher begonnen wurde. Man kann auf einer zentralen Plattform eigentlich Geld überweisen, chatten und Dinge kaufen. In diese Richtung wird es früher oder später auch (in Europa) gehen. Das heißt das Thema hat sicher Zukunft. Die Leute müssen sich erst daran gewöhnen oder sukzessive an das Thema herangeführt werden.

Parallel zur Etablierung von Social Commerce passiert auch die Entwicklung weg vom Smartphone unter dem Begriff „Digital Detox“. Sehen Sie hier eine Bedrohung für Unternehmen, die in ihrer Strategie nun auf Social Commerce setzen?

Unternehmen sehen schon eine Bedrohung darin. Wenn man an regionale, nachhaltige Unternehmen denkt, ist Social Commerce doch in gewisser Weise ein Widerspruch. Aber ich glaube trotzdem, dass sich hier das Thema Digitalisierung mehr durchsetzen wird als Regionalität. Das bedeutet auch, dass Regionalität digitalisiert werden muss. Es führt nichts daran vorbei. Somit ist es auf den ersten Blick ein Widerspruch, aber ein Widerspruch, den die Leute aus der Welt schaffen müssen.

Ist das Ihre Einschätzung als Digital-Marketing Experte oder haben Sie dahingehend auch Insights?

Schaut man sich aber die Branche an, also Services wie Marketer usw., die Digitalisierung mit Regionalität verknüpfen, sieht man die Richtung, die von den jüngeren Generationen bevorzugt wird. Es ist unwahrscheinlich, dass man irgendwo nach Niederösterreich zu einem Bauern fährt und seine Sachen selbst einkauft. Im Normalfall schreibt man diesem eine Nachricht über Social Selling und bekommt es nach Hause geliefert. In diese Richtung wird es gehen.

Corona hat die Entwicklung einiger Trends beschleunigt. Trifft das Ihrer Meinung nach auf Social Commerce zu? Wie hat Corona den Trend beeinflusst?

Vielen klassischen Händlern sind die Offline-Umsätze weggebrochen. Deshalb haben sie sich bewusst umgesehen, wie sie online mehr verkaufen können. Corona war dahingehend sicher auch ein Beschleuniger.

War er davor schon relevant?

Es hat davor schon angefangen, nicht nur im B2C-Bereich. Gefühlt hat es sogar im B2B-Bereich angefangen mit LinkedIn und Social Selling. Das ist für mich auch eine Form von Social Commerce. Da wird versucht. sich online ein Business-Netzwerk aufzubauen und direkt über diese Kanäle zu verkaufen. B2C hat gefühlt eher nachgezogen.

Gibt es noch einen Aspekt rund um Social Commerce, den Sie erwähnen wollen?

Ich bin gespannt, vor allem wenn man in Richtung Cookieless-Future denkt und dass der Trend eigentlich in Richtung Datenschutz geht. Auf der anderen Seite wollen die Tech-Giganten alle maximale Relevanz für den User generieren. Das ist für mich auch so ein Widerspruch. Denn maximale Relevanz kann ich nur generieren, wenn ich auch die Daten dazu habe. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt, da Social Commerce ganz ohne Daten nicht funktionieren wird. Es gibt auch hier sehr viele politische Einflüsse oder Variablen, die die Entwicklung beeinflussen können. Wie das Thema in ein paar Jahren also wirklich funktionieren kann, wird sich zeigen.

Welche Social Media Plattformen nutzen Sie?

Ich persönlich? Beruflich oder privat? Weil beruflich nutze ich alle.

Auf privater Ebene.

Privat bin ich noch Generation Facebook, das heißt ich nutze tatsächlich hauptsächlich Facebook als Informations- & Nachrichtenquelle. Ansonsten nutze ich auf jeden Fall Instagram und manchmal Snapchat. Wenn ich neue Möbel oder Einrichtungsgegenstände suche, bin ich auch auf Pinterest unterwegs, da geht es vor allem um Inspiration. Youtube, falls es für Sie auch unter Social Media fällt, nutze ich natürlich auch. Ich nutze vereinzelt Reddit, TikTok nicht privat, LinkedIn sehr viel, Xing gar nicht mehr und Twitter eigentlich auch nicht. Und wenn man Spotify als Social Network bezeichnet, dann auch Spotify.

Das sind Einige. Und hatten Sie schon einmal das Bedürfnis, dass Sie für eine Woche Ihr Handy abdrehen und einfach nicht erreichbar sind?

Ja, ich mache das im Urlaub auch tatsächlich. Mein Firmenhandy ist auch mein privates Handy. Das macht es ein bisschen schwieriger. Dennoch deinstalliere ich Outlook und alle firmenrelevanten Apps, während ich im Urlaub bin. Denn dann will ich meine Ruhe haben und lese analog ein Buch. Das mache ich mittlerweile sogar sehr bewusst.

Vielleicht können Sie nochmal kurz einen Tipp für Menschen zusammenfassen, die sich auch so fühlen. Bei Vielen wird es ja vielleicht auch gar nicht möglich sein, eine Woche das Handy abzudrehen. Wie kann man da trotzdem ein bisschen „runterkommen“?

Es ist extrem schwierig. Ständige Erreichbarkeit ist nicht sonderlich förderlich für die mentale Gesundheit. Man muss das schon bewusst schaffen.
Was nutze ich dafür? So gut wie jede App hat Mute-Funktionen, die sich auch automatisieren lassen. Also bei mir wird Teams nach 19 Uhr ausgeschaltet, dann bekomme ich auch keine Push-Notifications mehr. Das Gleiche mit E-Mails. Das begrenze ich zeitlich einfach. Ich habe am Handy auch einen Schlafmodus, bei welchem ich ab einer gewissen Uhrzeit keine Benachrichtigungen mehr bekommen kann. Wenn mich trotzdem jemand erreichen muss, kann er mich anrufen. Mein Tipp wäre es, diese Funktionen aktiv zu nutzen, denn es bringt wirklich etwas. WhatsApp-Gruppen sind dabei auch so der Klassiker. Wenn da mal jemand beginnt, in einer größeren Gruppe zu spammen, dann muss er/sie gemutet werden.

Digital Detox – also Digitale Entgiftung - beschreibt eine Rückkehr von unserem Leben am Smartphone in die reale, analoge Welt. Einige Branchenspezialist:innen sehen darin einen kommenden Trend – würden Sie dieser Meinung zustimmen?

Ja, definitiv. Es gibt zu jedem Trend auch immer einen Gegentrend. Das ist menschlich. Gerade Digitalisierung bringt Reizüberflutung mit sich. Man wird zugeballert mit Informationen. Dass es da auch einen Trend in die entgegengesetzte Richtung gibt, ist vollkommen natürlich und auch wichtig. Es ist als Mensch wichtig, sich Auszeiten zu gönnen, vor allem aufgrund der ständigen Informationen, die auf einen einhämmern. Das auf Dauer zu bewältigen, ist nicht sonderlich förderlich. Man muss sich des Themas schon bewusst sein, dass man auch abschalten kann.

Kann man sich diesen Trend in der Dialogmarketingstrategie zu Nutzen machen?

Schwer. Sobald jemand Digital Detox macht, ist die Person digital nicht mehr erreichbar. Das ist in eine Marketingstrategie sehr schwierig zu implementieren. Wenn man Online Achtsamkeits-Trainings verkauft oder Yoga-Kurse anbietet, kann man sich den Trend sicher zunutze machen. Wenn man Online verkaufen will, ist es schwer. Wenn das Unternehmen zum Thema Digital Detox passt, kann es natürlich kombiniert werden. Digital Detox kann auch Online verkauft werden.

Kann man sich den Trend im Offline-Marketing zunutze machen?

Was zählen Sie alles zu Dialogmarketing? Oder was ist für Sie die genaue Definition von Dialogmarketing?

Definieren wir es für das Interview einmal so: Alles was sich direkt an den Kunden bzw. die Kundin richtet und eine Responsefunktion hat oder zumindest eine personalisierte Funktion dem Kunden gegenüber hat.

Ich glaube schon, dass es funktionieren kann. Ich bin auch nach wie vor ein großer Fan von Direct Mailings und ein großer Verfechter von Offline-Marketing, also von TV und Direktmarketing. Deshalb kann man das sicher in eine entsprechende Strategie integrieren.

Wurde Digital Detox durch COVID beschleunigt?

Ja sicher, also dadurch, dass die Leute im Home-Office sowieso immer erreichbar sind, ist es noch stärker geworden. Hobbies wie spazieren gehen, die Leute mittlerweile (wieder) haben, spiegeln den Trend wider. Das Gefühl, einmal bewusst abschalten zu wollen, wurde sicher von Corona beeinflusst, vor allem wenn man im Home-Office ist und nicht wirklich die klare Trennung von Büro zu Privatleben hat. Daher läuft die Trennung bewusster ab oder muss bewusster ablaufen. Früher war es natürlicher: Man ist aus dem Office rausgegangen und die Arbeitszeit war vorbei. Es war zwar nicht ganz so, aber so ähnlich zumindest. Mittlerweile ist es wirklich so, dass man aufsteht und eigentlich beginnt man schon vor dem Zähneputzen zu arbeiten. Dann macht man Abendessen, arbeitet weiter und man weiß nicht, wann der Tag aufhört und die Arbeit anfangt. Es hat den Prozess in Richtung Digital Detox sicher beschleunigt.

Also per se sehen Sie Digital Detox nicht als Bedrohung für Digitalisierung und für den Online-Vertrieb?

Nein, weil zu 100 % durchziehen kann es keiner. Außer Roland Düringer, der sich irgendwo in eine Höhle einsperrt und seine eigenen Kartoffeln anbaut. Den Luxus haben aber Wenige, da sich das heute keiner mehr leisten kann.

Eigentlich ist es ja gemein, dass wir Sie zum Thema Digital Detox befragen, weil Sie genau aus der gegenteiligen Branche kommen. Aber wie, würden Sie sagen, kann man als Digitalmarketing Agentur auf das Thema reagieren, dass viele mehr offline sein wollen?

Naja, Digital Detox ist für mich eher etwas Privates. Es ist ein Trend, der die allgemeine Bevölkerung betrifft. Er hat aber kaum Auswirkung darauf, was unsere Kund:innen mit uns umsetzen. Deswegen sind das für mich schon zwei separate Themen. Vielleicht ist das Thema durch meinen beruflichen Hintergrund für mich schon persönlich wichtiger als für Andere. Ich sage jetzt mal, bei einer analogen, beruflichen Tätigkeit hat man Digital Detox im Beruf und hat daher weniger Bewusstsein für Digital Detox im Alltag.

without
https://imdialog.online/wp-content/themes/maple/
https://imdialog.online/
#c1c1c1
style1
paged
Loading posts...
/kunden/536779_2000/dmvoe-2021/imdialog/
#
on
none
loading
#
Sort Gallery
on
yes
yes
off
off
off